In diesem umfassenden Beitrag klären wir die Definition und Bedeutung des Wortes Osteopathie. Von der allgemeinen Definition bis hin zum tiefen Verständnis erfährst Du hier alles was Du zu der Begrifflichkeit wissen musst.
Die oberflächliche Definition
Für ein tiefgreifendes Verständnis von Osteopathie braucht es mehr als die wörtliche Übersetzung „Knochenleiden“. Dieser populäre Begriff eignet sich jedoch als Orientierungshilfe, um in das Thema einzusteigen.
Osteopathie ist eine Zusammenführung der Worte osteo (griech. osteon: Knochen) und pathie (grie. pathos: Leid). Zusammengesetzt bedeutet es so viel wie das „Knochenleiden“ oder Erkrankung im Bereich des Knochens.
Gleichzeitig ist „Osteopathie“ der Name, den Dr. Andrew Taylor Still im Jahr 1874 seinem neugegründeten komplementärmedizinischen Konzept gab.
Pathos: Osteopathen lieben Geschichten, die der Körper erzählt
Einen weiteren Aspekt zum besseren Verstehen liefert das griechische Wort „Pathos“. Es steht für das Leid und wird auch mit „Leidenschaft“ oder „Gefühlsregung/-ausdruck“ übersetzt; wir kennen ihn vor allem aus dem Schauspiel und Geschichtenerzählen. Und genau der Geschichtsaspekt ist ein wichtiger Teil der Bedeutung von Osteopathie, denn das „Knochenleiden“ ist letztlich nur das Ergebnis aus der persönlichen Geschichte des Patienten.
Osteopathie beschäftigt sich mit Symptomen und der Absicht, deren Ursache näher zu kommen. Die Geschichte des betroffenen Patienten ist dabei integraler Bestandteil, der Osteopath muss aber zwei Geschichten hören: die des Patienten in Form der gesprochenen Anamnese und die seines Körpers durch Palpation (Tastbefund).
Beide Aspekte sind für den Osteopathen sehr wertvoll für die Entscheidungsfindung und Therapierichtung. Ehrlicher ist meist die zweite Geschichte, also die Deutung der Palpationsbefunde, da der Körper nichts verschweigt und nichts bewertet. Gleichzeitig ist sie die ungleich schwierigere, da der Osteopath die Sprache des jeweiligen Körpers erst einmal lernen muss, um sie zu verstehen.
Keine Geschichte ohne Erzähler und Zuhörer
Für eine Geschichte braucht es immer mindestens zwei Menschen – einen, der sie erzählt, und einen, der sie hört. Übertragen auf die osteopathische Untersuchung und Behandlung gibt es den Erzähler (Patient) und den Zuhörer/„Zufühler“ (Osteopath).
Eine weitere Wortwurzel, die mit „-pathie“ verknüpft ist, ist der Begriff pathēticus (spätlat.), griech. pathētikós (παθητικός). Übersetzt bedeutet es „empfindend, äußerer Eindrücke fähig“, im Sinne von „mitfühlen, -schwingen, -leben, er-/durchleben“. Osteopathie steht im handwerklichen Kontext für eine unendlich große Bandbreite an Techniken. Sie werden mit den Händen am menschlichen Körper angewendet.
Damit der Osteopath das erfolgreich umsetzen kann, muss er bereit sein, mit- und hineinzufühlen. Er nimmt durch Berührung unterschiedliche Qualitäten des betroffenen Gewebes wahr, das er vor der Therapie untersuchen und ‚empfinden‘ (lat. Empathie) muss. Dadurch kann er beurteilen, welche Methode/Technik dem Gewebe helfen kann, in den gesunden Zustand zurückzufinden.
Osteo: Mehr als nur Knochen
Nach Klärung des Begriffsteils „-pathie“ schauen wir uns nun „osteo“ an:
„Knochen“ im Sinne von „Osteo“-pathie steht stellvertretend für das gesamte Körpergewebe. Der eigentliche Knochen hat einen hohen Anteil an Kalzium, bei ihm handelt es sich um festes Gewebe. Daneben stehen das weiche Bindegewebe und die Organe. Sie tragen alle zur Geschichte bei.
Diese Geschichte kann der Körper stumm anhand seiner Gewebequalität erzählen. Sie fließt heraus, wenn Osteopathen mit den Händen berühren und still „zuhören“. Der Körper ist der stumme Erzähler, der palpatorisch (durch Betastung und Berührung) wahrgenommen werden kann, wenn man ihn lässt.
Sprache des Körpers
Die Sprache dieser Geschichte findet zwischen den Körpern statt – dem des Patienten und dem des Osteopathen. Das Ziel: die konstruktive Verständigung. Osteopathen erlernen diese Sprache, können sie begreifen und deuten. Dabei gilt wie bei allen Sprachen: Nur durch konsequente Übung werden wir besser.
Das Erlernen ist ein Prozess, der sich über viele Jahre erstreckt. Ein Osteopath ist niemals fertig mit dem Lernen. Das macht den Beruf abwechslungsreich und interessant. Mit Hilfe der osteopathischen Denkweise können wir die „Körpergeschichten“ in einen begreifbaren Rahmen stellen.
Wie übersetzt der Osteopath diese Sprache?
Der erfahrene Osteopath kann durch Palpation (Tasten und Fühlen) des Knochens und der Gewebe, ähnlich wie beim Lesen eines Buches, Rückschlüsse auf die Geschichte des Patienten ziehen. Aber Achtung: Das hat nichts mit Hellseherei oder Zauberei zu tun!
Gemeint ist, dass jeder Mensch die Geschichte seines Lebens erlebt und liefert. Sie schreibt sich im Gewebe nieder wie in einem Buch durch die unterschiedlichen Eigenschaften des jeweiligen Gewebes. Wir können sagen: Im wahrsten Sinne des Wortes verkörpert jeder Mensch seine Geschichte, geprägt durch alle Ereignisse in seinem Leben. So wird jedes Individuum fleischgewordene Geschichte.
Die Kunst für Osteopathen ist es beim Ertasten gesundes und erkranktes Gewebe unterscheiden zu können. Traumatisiertes Gewebe besitzt einfach gesagt andere Eigenschaften als unversehrtes Gewebe.
Kleine unbedeutende bis hin zu schweren Traumen verändern den Menschen, ohne dass wir das immer wahrnehmen. Die betroffene Ebene spielt dabei vorerst eine untergeordnete Rolle. Bei einem Trauma kommt es zu einer Anpassung des Menschen auf geistiger, emotionaler und körperlicher Ebene.
Die Ausprägung ist unterschiedlich und hängt von den Ressourcen des Betroffenen ab. In der Osteopathie spricht man von Kompensationsfähigkeit. Damit ist die bestehende Energie im Körper gemeint, die nötig ist, um das Trauma aufzufangen – und trotzdem weiter Leben zu können.
Beispiel anhand des Kreuzbein-Knochens:
Ein gesundes Kreuzbein (lat. sacrum) fühlt sich anders an als ein „gestauchtes“. Auslöser kann z.B. einen Sturz auf das Gesäß sein. Das traumatisierte gestauchte Kreuzbein fühlt sich zumeist dichter und härter an als ein gesundes.
Obwohl solche Arten von Traumen nicht zwangsläufig mit Frakturen oder äußerlich sichtbaren Verletzungen einhergehen müssen, hinterlassen sie oft unbemerkte körperliche Veränderungen. Diese kann der Osteopath durch eine veränderte gewebliche Elastizität oder Dichte wahrnehmen.
Erfolg von Osteopathie
Die Kunst in der Osteopathie liegt darin, die Informationen, die der betroffene Körper erzählt, zu erkennen und in der Therapie konstruktiv zu unterstützen. Diese Informationen empfängt der geschulte Osteopath, indem er durch seine spezielle Technik „Schwingungen“ auf dem Körper des Patienten wahrnimmt – er arbeitet somit über Resonanz. Ohne sie findet keine Behandlung statt. Dies erfordert Fingerspitzengefühl.
Das macht Osteopathie gleichzeitig spannend und schwierig: Es gibt kein verallgemeinerndes „Therapierezept“ bei bestimmten Beschwerden. Genau wie der Patient hat auch der Behandler einen individuellen Charakter, der den Ausgang der Therapie maßgeblich beeinflusst.
Dadurch ist Osteopathie niemals eins zu eins reproduzierbar. Sie ist genauso vielfältig wie die Osteopathen, die sie ausüben. Die Qualität der Osteopathie, unabhängig von der Ausbildung, ist letztlich immer abhängig von der inneren Haltung des Osteopathen, seinem (beruflichen) Wertesystem und Selbstverständnis.
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